Ivan Šišmanov


 

Ivan D. Šišmanov

Ivan D. Šišmanov(1862-1928)

 

Ivan Šišmanov wird am 22. Juni 1862 in Svištov geboren. Auf Vorschlag des österreichisch-ungarischen Gelehrten Felix Kanitz schickt man ihn im Alter von 14 Jahren nach Wien, um die Bürgerschule und später die Pädagogische Schule zu besuchen, die er 1882 abschließt. Nach seiner Rückkehr nach Bulgarien arbeitet Ivan Šišmanov als Lehrer in seiner Heimatstadt (1882-1883). Er studiert mit einem Staatsstipendium Philosophie und Literatur in Jena (1884) und Genf (1885-1886) und hört Vorlesungen über Philosophie und Psychologie, altorientalische Sprachen und neuere Literaturen, Kulturgeschichte, Philologie und Ethnographie. Hier knüpft Šišmanov intellektuelle Kontakte zu dem ukrainischen Emigranten und Professor für Geschichte Michajlo Dragomanov (später auf Betreiben Šišmanovs hin Professor an der Universität Sofia) sowie zu Wilhelm Wundt in Leipzig, bei dem er 1888 sein Doktorat in Philosophie macht.

 

Ivan Šišmanov gehört zu den Mitbegründern der Hochschule in Sofia (der heutigen Sofioter Universität), wo er außerordentlicher (1888-1889, 1892-1894)

und ordentlicher Dozent sowie Professor für allgemeine Literatur- und Kulturgeschichte (1894-1903) ist. Über annähernd vier Jahrzehnte hinweg hält er Vorlesungen über Kulturgeschichte, Allgemeine Literaturgeschichte, Geschichte der östlichen Literaturen, Theorie der Folkloredichtung, Anfänge und Entwicklung der Literaturgeschichte, Vergleichende Literaturgeschichte der italienischen Renaissance, Vergleichende europäische Literaturgeschichte vom Mittelalter bis zum 18. Jh. u. a. Im Jahre 1893 ruft Ivan Šišmanov die Zeitschrift „Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i knižnina (Sammelband für Volksdichtung, Wissenschaft und Schrifttum)“ ins Leben, deren Redakteur er bis 1902 bleibt. Zu dieser Zeit (1893-1900) ist er auch Redakteur der Zeitschrift „Bălgarski pregled (Bulgarische Rundschau)“.

 

Ab 1903 ist Šišmanov Minister für Volksbildung, wobei er sich bestrebt zeigt, die Erfahrungen der fortschrittlichen europäischen Länder in seinem Kultur- und Bildungsprogramm zu nutzen. Auch wenn es ihm nicht gelingt, seine Pläne zur Gänze umzusetzen, so reformiert und modernisiert er den Bildungsprozess doch in beträchtlichem Maße; sein Name wird mit der Gründung und Entwicklung vieler kultureller Institutionen in Verbindung gebracht: mit dem Nationaltheater, der Musikschule, der Kunstakademie, dem Ethnographischen Museum, dem Institut für Blinde, der Schule für taubstumme Kinder, dem ersten Kindergarten in Bulgarien, dem Verband der Lehrer und Ärzte, der bulgarischen Sektion des PEN-Clubs sowie einer Vielzahl von Kulturzentren, Bibliotheken und Galerien. Prof. Šišmanov macht es sich zur Aufgabe, angesehene bulgarische Gelehrte, Schriftsteller, Künstler, Musiker und Lehrer zur Fortbildung in die europäischen Kulturzentren zu entsenden.

 

Im Jahr 1907 provoziert das Pfeifkonzert gegen Zar Ferdinand bei der Eröffnung des Nationaltheaters die Schließung der Sofioter Universität. Als Zeichen des Protests legt Šišmanov sein Ministeramt zurück. 1909 nimmt er erneut seine Lehrtätigkeit an der Universität auf, er beteiligt sich mit einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen und publizistischen Artikeln aktiv am kulturellen Leben.

 Während der Balkankriege und des Ersten Weltkriegs tritt Prof. Šišmanov für eine friedliche Lösung der internationalen Konflikte und die Schaffung einer Union der Balkanvölker ein. Von 1918 bis 1919 ist er außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in der Ukraine. Nach Ende des Ersten Weltkriegs kommt er mit Romain Rolland und Maxim Gorki in Berührung und unterstützt die Idee zur Gründung vereinigter europäischer Staaten – eines Paneuropas. Während seines Aufenthalts in Freiburg hält er einen Kurs zur Kultur des Slawentums („Die Welt der Slawen“, 1923-1924). 1926 wird er Vorsitzender des bulgarischen PEN-Clubs. Im Sommer 1928 reist er nach Norwegen, um an einem Kongress des PEN-Clubs teilzunehmen. Er stirbt am 23. Juni in Oslo.

 

Prof. Šišmanov ist wirkliches Mitglied der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (1902), ordentliches oder Ehrenmitglied einer Reihe von europäischen akademischen Institutionen und Universitäten. In seinen Arbeiten erforscht er die bulgarische Literatur, Ethnologie, Folklore sowie die Ethnographie und das Schrifttum der bulgarischen nationalen Wiedergeburt im Kontext der europäischen Kulturgeschichte. Er verfolgt die aktuellen literarischen Prozesse in Bulgarien mit, interessiert sich für wissenschaftliche Fragestellungen im Bereich der Psychologie, Philologie und Bildung.

 

Zu den bedeutenderen Werken Prof. Šišmanovs zählen: „Anfänge des russischen Einflusses im bulgarischen Schrifttum“ (1899), „Taras Ševčenko – sein Werk und sein Einfluss auf die bulgarischen Schriftsteller vor der Befreiung“ (1914), „Literatur und Bildung. Tendenzen in der Kunst“ (1926). Ergebnis seiner Gespräche mit Ivan Vazov ist das unvollendete und posthum herausgegebene Buch „Ivan Vazov. Erinnerungen und Dokumente“ (1930). Nach seinem Tod werden die Arbeiten Prof. Šišmanovs in den Büchern „Epigramme und Portraits“ (1931), „Literaturgeschichte der Renaissance in Italien (herausgegeben von Michail Arnaudov, 1934), „Von Paisij bis Rakovski“ (1943), „Epigramme“ (1968), „Ausgewählte Schriften“ (1965-1971), „Studien, Rezensionen, Erinnerungen, Briefe“ (1969) sowie „Tagebuch 1879-1927“ (2003) veröffentlicht.

 

Prof. Šišmanovs Schaffen ist ein wertvoller Beitrag zur Entwicklung der geisteswissenschaftlichen Disziplinen in Bulgarien und zu ihrer aktiven Beteiligung am wissenschaftlichen Dialog im europäischen Kontext.

 


 
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